Odysseus, Polyphem, Acis & Galatea: Mythen der Faraglioni
Aci Trezza: Legenden und Geschichten zwischen Mythos und Realität
Odysseus, Polyphem und die Entstehung der Faraglioni von Aci Trezza
Beim Anblick von Aci Trezza, einem malerischen Fischerdorf am Fuße des Ätna, wird der Blick sofort von den majestätischen Faraglioni-Felsen angezogen, die aus dem Ionischen Meer aufragen. Diese atemberaubende Kulisse verbindet Natur und Mythos: Man glaubt fast, die mit silbernen Sardinen und Thunfischen (einst Poseidon heilig) gefüllten Netze zu sehen und den salzigen Duft frisch gefangener Seeigel wahrzunehmen[1]. Hier vermählen sich Natur und Mythologie, und mit jedem Flüstern der Wellen scheinen antike Legenden wieder zum Leben zu erwachen[2].
Zu diesen Geschichten gehört die von Homer in der Odyssee erzählte Sage, die genau an diesen Küsten spielt. Der griechische Held Odysseus landete während seiner langen Heimreise von Troja auf der „Insel der Zyklopen“ im östlichen Sizilien[3]. In einer Höhle unter dem Ätna lebte Polyphem, ein riesiger, menschenfressender Zyklop, Sohn des Meeresgottes. Polyphem sperrte Odysseus und seine Männer ein und verschlang einige von ihnen. Mit List bot Odysseus dem Zyklopen starken, süßen Wein an, um ihn betrunken zu machen, und sagte, sein Name sei „Niemand“. Als Polyphem in tiefen Schlaf fiel, blendeten Odysseus und seine Männer ihn mit einem glühenden Olivenholzpfahl[4]. Vor Wut und Schmerz schreiend, rief Polyphem die anderen Zyklopen zur Hilfe, doch als er erklärte, „Niemand“ habe ihn verletzt, ließen sie ihn allein[5].
Bei Tagesanbruch flohen Odysseus und seine Männer, versteckt unter dem Bauch der Schafe des Zyklopen, ungesehen aus der Höhle. Erst als ihr Schiff weit draußen war, entdeckte Polyphem den Betrug und warf vor Zorn riesige Vulkanfelsen auf die fliehenden Griechen[6]. Der Legende nach sind genau diese Felsen die heutigen Faraglioni von Aci Trezza – acht große Felsen, die vor der Küste ragen und für immer Zeugen der Wut des Zyklopen und der List des Helden sind[7]. Bis heute nennen die Einheimischen diese Felsen „Inseln der Zyklopen“, als Erinnerung an den homerischen Mythos, wonach die Zyklopen in den Tiefen des Ätna Blitze für Zeus schmiedeten[8].
Heute sind die Faraglioni nicht nur legendäre Symbole, sondern auch ein geschütztes Naturerbe von enormem Wert. Sie gehören zum Naturschutzgebiet „Isola Lachea e Faraglioni dei Ciclopi“, das die reiche Meeres- und Landbiodiversität der Region bewahrt[9]. Eine Bootsfahrt zwischen diesen Felsen oder ein Spaziergang entlang der Küste bei Sonnenuntergang ist eine Erfahrung zwischen Realität und Fantasie, wo die Landschaft mit den unsterblichen Geschichten der Tradition verschmilzt[10]. Während die Wellen ruhig ans Ufer schlagen, gehen die Gedanken zu Odysseus und Polyphem, und es fällt leicht, sich die örtlichen Fischer vorzustellen, wie sie ihre Netze auf den Booten reparieren – vielleicht nachdem sie in den Restaurants der Region leckere Pasta mit Seeigeln oder gegrillten Schwertfisch serviert haben, Früchte dieses legendären Meeres. In diesem Winkel Siziliens ist der Mythos überall präsent und macht jeden Besuch zu einem Erlebnis der Wunder.
Acis und Galatea: Eine tragische Liebe zwischen Ätna und Meer
Nicht nur homerische Abenteuer: Die Küste zwischen Ätna und Ionischem Meer ist auch Schauplatz eines klassischen Liebesmythos. Die Legende von Acis und Galatea erzählt von der Liebe zwischen einem sterblichen Hirten und einer Meeresnymphe – eine ebenso romantische wie tragische Geschichte, die genau hier auf sizilianischem Boden spielt[11]. Galatea – in der lokalen Vorstellung Tochter des Meeresgottes Nereus (oder Neptun) – war eine wunderschöne Meeresnymphe von milchweißer Schönheit, die zwischen den Wellen lebte[12]. Am Ufer unterhalb des Ätna lebte Acis, ein junger Hirte (nach Ovid Sohn des Gottes Faunus), der seine Herden auf den grünen Küstenweiden hütete[13]. Sie begegneten sich am Meer und verliebten sich unsterblich ineinander. Doch auch der Zyklop Polyphem begehrte Galatea und bedrängte sie erfolglos[14].
Eines Nachts sah Polyphem Galatea am Ufer in den Armen ihres Geliebten Acis. Von Eifersucht und Schmerz überwältigt, rächte sich der Zyklop grausam[15]. Es heißt, Polyphem habe wütend einen riesigen Lavastein vom Ätna gerissen und Acis damit erschlagen[13]. Galatea, verzweifelt, bat die Götter um ewige Vereinigung mit ihrem Geliebten. Die Götter verwandelten Acis’ Blut in einen Fluss, der vom Ätna ins Meer fließt, und Galatea in Meerschaum[16][17].
Die Legenden von Aci Trezza erzählen nicht nur Geschichten, sondern prägen auch lokale gastronomische Traditionen. Die frischen Meeresfrüchte aus diesen Gewässern – Sardellen, Schwertfisch und Seeigel – werden traditionell in köstlichen Gerichten serviert. Dazu passen hervorragend die intensiven, mineralischen Weißweine, die auf den vulkanischen Böden des Ätna gedeihen. Ein Besuch in Aci Trezza verbindet auf perfekte Weise Legenden, Natur und Genuss.
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